04. Okt 2022

Kooperation statt Konfrontation – Chancen für die Bauwirtschaft

Der Dachverband Bauenschweiz sowie seine Mitglieder Baumeisterverband, Branch do Tank, Entwicklung Schweiz, sia und usic sehen grossen Handlungsbedarf für die Verbesserung der Zusammenarbeitskultur im Bauwesen und lancieren die diesbezügliche Diskussion

Autor: Rolf H. Meier

Die wichtigsten Infrastrukturen in der Schweiz haben ein Lebensalter von 60-80 Jahren erreicht, bei welchem nun grösserer baulicher Unterhalt oder Erneuerungsmassnahmen anstehen. Die Auslastung von Bahn- und Strassentrassen sind inzwischen stark angestiegen. Zusätzlich werden mit der Umsetzung der neuen Mobilitäts- und Energie-Strategien tiefgreifende Aus- und Umbaumassnahmen notwendig. Die dafür notwendigen Finanzen sind politisch bereits weitgehend gutgeheissen. Gleichzeitig sind aber die Umweltauflagen und die gesellschaftlichen Widerstände für die Realisierung von Projekten gestiegen.

Der in den technischen Berufen seit längerem beschriebene Fachkräftemangel betrifft inzwischen fast alle Bereiche der Wirtschaft und der öffentlichen Bereiche. Mit der bereits laufenden Pensionierung der Babyboomer-Generation nimmt die Verfügbarkeit von Fachkräften weiter ab.
Um die Modernisierung der Infrastrukturen für unsere Gesellschaft meistern zu können, muss die Baubranche die Attraktivität für junge Fachkräfte deutlich steigern, um im Wettbewerb um Talente eine Chance zu haben.

Ausgangslage im öffentlichen Bauwesen

Das öffentliche Beschaffungswesen mit den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen hat inzwischen eine fast 30jährige Tradition und hat sich in seinen Grundzügen durchaus bewährt. Ausschreibungen, Angebote und Auftragsvergaben sind transparent und ein breiter Wettbewerb findet statt. Als negative Auswirkungen müssen aber Tiefpreis-Angebote und das Nachtrags-Management er-wähnt werden.

Mit Tiefpreisen wird oft ein Auftrag akquiriert. Mit Nachträgen und Änderungen muss im Laufe eines Projektes dann das Geld verdient werden. Dafür müssen Fehler oder Mängel im Projekt gesucht und die Schuld dafür den anderen Parteien zugeschoben werden. Ein weit verbreitete Misstrauens-Kultur zwischen Bauherren, Planern und Unternehmern hat sich so entwickelt. Ein grosser Teil der personellen Ressourcen wird durch damit verbundene Konflikte absorbiert. Dies führt neben Zeitverlust und Mehrkosten auch zu Frust bei den Beteiligten. Die Effizienz und Effektivität in Projekten leiden stark. Die Arbeitsproduktivität in der Baubranche hat sich in den letzten 20 Jahren, laut Bundesamt für Statistik, in der Schweiz praktisch nicht entwickelt und ist fast am Schluss aller Branchen.

In Anbetracht der künftigen Herausforderungen des Marktes, können wir uns diese Ressourcen-Verschwendung nicht mehr leisten.

Der Dachverband Bauenschweiz sowie seine Mitglieder Baumeisterverband, Branch do Tank, Entwicklung Schweiz, sia und usic sehen grossen Handlungsbedarf für die Verbesserung der Zusammenarbeitskultur im Bauwesen und lancieren die diesbezügliche Diskussion. Für eine integrale Verbesserung der Zusammenarbeit und zur Umsetzung von diesbezüglichen Organisations-Modellen sind die Bauherren aufgerufen, sich diesem Bestreben anzuschliessen.

Neue Zusammenarbeitsmodelle

Das traditionelle Zusammenarbeitsmodellmodell, welches den Unternehmer erst mit seinem Angebot zu einem detaillierten Ausführungsprojektes einbezieht, verpasst häufig die Chance auf innovative Bauverfahren der Unternehmer und enthält dafür viel Raum für Spekulation und ein grosses Konfliktpotential.

Abbildung 1a: Zusammenarbeitsmodelle
Abbildung 1b: Zusammenarbeitsmodelle

Eine für die Schweiz neue Form kann die Projektallianz sein, bei der sich die wichtigsten Partner beispielsweise mit eine Mehrparteien-Vertrag gegenseitig zur Zusammenarbeit verpflichten. Projektallianzen sind im angelsächsischen Raum bereits weit verbreitet und beispielsweise in Australien seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt.

Ein gemeinsam vereinbartes Vergütungssystem sichert allen Partnern faire Entschädigungen zu. Ein Schlüssel zur Verteilung von möglichem Gewinn oder Verlust wird vorgängig vereinbart. Dabei haften die Partner gemeinsam für ihre Leistungen und teilen Chancen und Risiken des Projektes partnerschaftlich. Somit können sich alle Partner auf die beste Lösung für das Projekt konzentrieren. Verschiedene Vorarbeiten von SBB, InfraSuisse und Kanton Aargau haben ergeben, dass Projektallianzen auch mit dem schweizerischen Recht bereits heute möglich sind. Die Dissertation an der Uni Freiburg von Patrick Schurtenberger «Der Allianzvertrag» hat sich ausführlich mit einer Umsetzung befasst.

Auch Zwischenformen von kooperativen Zusammenarbeits-Modellen sind möglich. Etwa in angepassten TU oder GU-Modellen, welche ab einer bestimmten Projektierungs-Phase zur Anwendung gelangen können.
Chance für Innovation, Effizient und öffentliche Wahrnehmung
Durch kooperative Zusammenarbeitsmodelle und frühere Einbindung des Unternehmers können Innovation in Konstruktion und Verfahren realisiert werden. Projekte können so nachhaltiger und auf den Lifecycle ausgerichtet werden.

Können die Interessen der Beteiligten auf den gemeinsamen Erfolg ausgerichtet werden, werden Prozesse optimiert und beschleunigt sowie die Kosten minimiert. Alle Partner profitieren gemeinsam vom Erfolg. Gegenseitige Schuldzuweisungen und Streitigkeiten um Nachträge werden massiv reduziert.

Durch nachhaltigere Lösungen und optimierte Verfahren, bei geringeren Kosten steigt das Image der Branche in der öffentlichen Wahrnehmung. Die kooperative Kultur bei der Umsetzung von Bauvorha-ben steigert die Attraktivität der Branche als Arbeitsmarkt.

Abbildung 2: Zusammenarbeitsmodelle, Grafik Kanton AG

Neuerungen im Beschaffungsrecht

Bereits im ursprünglichen Recht wären die Grundlagen für eine stärkere Gewichtung von Qualität und Kreativität vorhanden gewesen. Der Kanton AG hat bereits seit mehr als 10 Jahren mit einem transparenten Bewertungssystem für die erbrachten Leistungen ein messbares Qualitätskriterium geführt und die Gewichtung des Preises stark reduziert (Planer 30%, Unternehmer 50%) Mit der Revision des BöB und iVöB sind noch mehr Möglichkeiten vorhanden, um das «vorteilhafteste Angebot» zu finden. Insbesondere die Kreativität im Hinblick auf Verfahren, Nachhaltigkeit und Lifecycle könnten hier stärker gewichtet werden. Mit dem Dialogverfahren können die qualitativen Kriterien von Anbietern und Lösungsvorschlägen geprüft werden. Aber auch die Zuverlässigkeit des Preises kann ein wichtiges Mittel zur Plausibilisierung von Angeboten darstellen. Selbstverständlich müssen die Eignungs- und Zuschlagskriterien fair und nachvollziehbar sein.

BIM als Chance für Zusammenarbeit nutzen

BIM ist oberflächlich gesehen ein digitales Instrument für Projektierung und Realisierung von Bau-vorhaben. Zusätzlich kann es später für Betrieb und Unterhalt genutzt werden. Der volle Nutzen kann aber nur bei umfassender Durchgängigkeit der Informationen und Modelle für alle Projektbeteiligten generiert werden. Dies bedingt, dass sich die Projektbeteiligten Klarheit über Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortungen und Prozessschritte erarbeiten müssen. Dafür müssen die Prozessschritte hinterfragt, abgestimmt und vereinbart werden. Dabei zeigen alle Entwicklungen in die Richtung, dass der Unternehmer wesentlich früher in den Prozess eingebunden werden muss.
Diese Notwendigkeit zur Abstimmung der Prozesse verlangt ein hohes Mass an gegenseitigem Ver-trauen und Transparenz. Sie ist aber insgesamt eine grosse Chance zur Optimierung von Projektabläufen und Zusammenarbeit der Beteiligten.

Konfliktmanagement in Projektorganisationen einsetzen

Die neue Norm SIA 101 definiert Bauherr wie folgt:
"Der Bauherr ist der ethisch, rechtlich und wirtschaftlich verantwortliche Auftraggeber bei der Durchführung von Bauvorhaben. Auch bei der Delegation von Leistungen bleibt der Bauherr gegenüber Dritten in der Verantwortung für die fachgerechte und
gesetzeskonforme Ausführung des Bauwerks".

Seine allgemeine Aufgabe wird wie folgt beschrieben: "Bauherr sein ist eine Führungsaufgabe. Notwendig ist ein auf gegenseitigem Vertrauen basierender, kontinuierlicher Dialog zwischen dem Bauherrn und den anderen am Bauvorhaben Beteiligten.
Bauherrenleistungen werden durch den Bauherrn selbst oder durch die von ihm beauftragten Dienstleister erbracht."

Der Bauherr ist somit nicht nur für die Inhalte des Projektes verantwortlich, sondern auch für die Zusammenarbeits-Kultur aller Beteiligten im Rahmen des Projektes. Darin sind auch explizit Dialog und Vertrauen genannt. Der Umgang mit Konflikten und die Art der Kommunikation sind damit auch wich-tige Säulen zum Erfolg eines Projektes.

Abbildung 4: Säulen mediativer Projektführung

Der Bauherr kann mindestens die Formen der Differenzbereinigung im Vertrag regeln. Dabei kann gemeinsamem Lösungsbestreben die Mediation als nächste Stufe der Differenzbereinigung eingesetzt werden, bevor Schiedsgerichte oder Gerichte angerufen werden.

Schulung der Projektbeteiligten zur Konflikt-Vermeidung, -Prävention und -Lösung können sensibilisieren und die Projektorganisation kann Stufen und Kompetenzen festlegen.

Auch können Projektbegleitung aus Mediations-Fachpersonen (Dispute Adjudication Board) als Standby-Gremium einer Projektorganisation zur Seite gestellt werden, welche durch die Kenntnis von Projekt und Organisation sehr schnell bei Konflikten eingesetzt werden können, bevor diese eskalieren. So können Zeit und Kosten gespart werden und Differenzen oft niederschwellig gelöst werden.