15. Nov 2021

Kaffee mit...

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Kreislaufwirtschaft, zukunftsfähiger Gebäudepark, CO2-Fussabdruck – Was hat das mit Stahl zu tun? Myriam C. Spinnler ist Geschäftsleiterin des Stahlbau Zentrum Schweiz (SZS). Im Gespräch mit Bauenschweiz zeigt sie auf, wie die Zukunft mit Stahl aussieht.

Wie erklären Sie Branchenaussenstehenden die Vorteile des Stahlbaus?

Stahl als Material sowie die Stahlprofile sind normiert. Man kann aus diesen Komponenten ganze Bauten oder grosse Bauteile im Werk vorfertigen. Dies ermöglicht eine rasche und saubere Montage auf der Baustelle. Auch die Demontage von Stahlbauten ist vergleichsweise emissionsarm. Die tragenden Strukturen lassen sich problemlos andernorts wiederaufbauen und am Ende ihres Lebenszyklus wird das Material zu 100 Prozent dem Recycling zugeführt.
Stahlbau ist also eine schnelle, flexible und saubere Bauweise, welche sich besonders eignet für die sich laufend verändernden Anforderungen der modernen Gesellschaft. Das Verhältnis von Tragfähigkeit zu Eigengewicht ist bei Stahlprofilen optimiert, so dass mit geringem Materialeinsatz grosse Aufgaben gelöst werden können. Es werden daher nicht nur schwere Industriebauvorhaben in Stahl realisiert, sondern auch Aufstockungen bestehender Gebäude werden in Stahlleichtbau umgesetzt.
Die grossen Spannweiten, welche mit Stahlträgern überwunden werden können, ermöglichen grosse stützenfreie Räume und dadurch eine flexible Nutzung und Umnutzung der Bauten, um den aktuellen Bedürfnissen zu entsprechen.

Der effiziente, ressourcenschonende Einsatz des Materials, seine qualitativ homogenen Materialeigenschaften und die 100-prozentige Rezyklierbarkeit des Materials zeichnen den Stahlbau aus und machen ihn zu einem wichtigen Player in der zukunftsgerichteten Planung unserer gebauten Umwelt.

Die Baumaterialpreise sind seit Anfang des Jahres stark angestiegen. Besonders betroffen ist unter anderem Stahl. Was sind die Konsequenzen dieses Preisanstieges?

Die geopolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich unter dem Einfluss der Covid-Pandemie stark verändert. Die weltweit grosse Nachfrage hat nicht nur die Stahlpreise stark ansteigen lassen. Für die Stahlbauunternehmen hat der starke Preisanstieg vor allem bedeutet, dass man keine Materialfixpreise mehr anbieten kann und Offerten eine kürzere Gültigkeit haben.

Wie reagieren Sie als Verband darauf?

Im Frühling hat das SZS zusammen mit seinem Partnerverband SZFF (Schweizerische Zentrale für Fenster und Fassaden) eine Mitteilung herausgegeben, um den Umständen Rechnung zu tragen und besonders die Abnehmer unserer Mitgliedfirmen aufzuklären. Im Gegensatz zu anderen Rohstoffen wie Aluminium und Epoxidharz war Stahl trotz Knappheit fast durchgängig lieferbar. Unsere Mitglieder arbeiten gut mit den Zulieferern zusammen, um den Bedarf weiterhin abzudecken und Verzögerungen von laufenden Projekten zu vermeiden.

Wo sehen Sie beim Thema nachhaltiges Bauen noch Entwicklungspotential?

Nachhaltiges Bauen bedeutet nicht nur ressourcenschonend bauen und kurzfristig CO2 einzusparen. Es geht weit darüber hinaus und umfasst Aspekte der vorausschauenden Planung ebenso wie die Rückführung der Materialien in den Wertstoffkreislauf. Eine vorausschauende Planung berücksichtigt zukünftige Bedürfnisse an die Nutzung des Bauwerks. Es muss in mehreren Lebenszyklen gedacht werden und flexible Umnutzungsmöglichkeiten müssen geschaffen werden.

Was bedeutet das konkret für den Stahlbau?

Der effiziente Einsatz der Baumaterialien ist jederzeit im Fokus. Stahlbau leistet seinen Anteil dabei durch seine optimierten Profilformen und die sortenreine Demontage. Stahlrecycling ist deshalb so nennenswert, weil dieses Material zu 100 Prozent im Materialkreislauf verbleiben kann und keinen Qualitätsverlust erfährt. Bei vielen anderen Materialien muss man hingegen von einem Downcycling sprechen, weil ohne zusätzliche Rohstoffe nicht die gleichen Materialkennwerte erreicht werden können. Bereits heute sind etwa 95 Prozent unseres Baustahls aus Stahlschrott hergestellt. Der Wermutstropfen beim Stahlrecycling ist einzig der hohe Energieverbrauch, welcher allerdings vermehrt mit erneuerbaren Energien und Wasserstofftechnologie gedeckt wird.

Grosses Potential hat die Stahlbauweise im Bereich der Wiederverwendung. Wenn Bauteile – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft – in ihrer vorhandenen Form in anderen Bauten wiederverwendet werden können, sind keine energieaufwändigen Prozesse dazwischengeschaltet. Bisher wurden in der Schweiz erst einige Pilotprojekte mit wiederverwendeten Stahlbauteilen erstellt. Der Markt für wiederverwendete Bauteile ist am Entstehen. Verschiedene Pioniere katalogisieren den Gebäudebestand (wie etwa Madaster Schweiz) und bauen Handelsplattformen auf (wie etwa sumami). 

Ungelöste Probleme wie die Ausschreibung und Rezertifizierung der Bauteile, welche bereits einen Lebenszyklus hinter sich haben, müssen normativ geregelt werden. Das SZS ist aktiv beteiligt an diesen Entwicklungen und setzt sich dafür ein, dass die Rahmenbedingungen für den neu entstehenden Markt der wiederverwendeten Bauteile geschaffen werden.

Welche Rolle nimmt die Digitalisierung im Stahlbau ein?

Wie bereits erwähnt ist der Vorfertigungsgrad im Stahlbau recht gross. Die Werkstattfertigung hat bereits mit der Einführung von CNC-Maschinen einen ersten Digitalisierungsschub mitgemacht. Wegen der für die Montage notwendigen Präzision ist der Stahlbau sehr affin für digitale Planungs- und Arbeitsmethoden. Daher ist die Digitalisierung im Stahlbau nichts Neues. Mit dem Building Information Modelling (BIM) wird die Kollaboration aller Projektbeteiligten erleichtert. Durchgängige Datentransfers helfen in der Gesamtplanung eines Gebäudes, die Prozesse zu straffen.

Die im Gebäudemodell gesammelten Daten zu den einzelnen Bauteilen sind zudem die beste Basis für den bereits erwähnten Aufbau von Materialdatenbanken. Damit spielt die Digitalisierung auch der Kreislaufwirtschaft in die Karten.

Was bedeutet das Nein zum CO2-Gesetz für Ihre Branche?

Wir werden weiter daran arbeiten, dass die Stahlbauweise mit all ihren Vorzügen im Dienste der modernen Bauwirtschaft steht und ihren Anteil an einer nachhaltigen Wirtschaft trägt. Konkret heisst das, dass nun nicht das Gesetz die Entwicklungen steuert, sondern dass unsere Branche vermehrt auf die zweifelsohne vorhandene Nachfrage nach zukunftsfähigen Lösungen im Bausektor eintreten muss.

Recycling ist bereits etabliert. Die Stahlhersteller sind auf dem Weg zu CO2-neutralem Stahl (siehe XCarb von ArcelorMittal) und die Wiederverwendung wurde bereits in einigen Schweizer Stahlbauprojekten vorgelebt (K118 in Winterthur). Das SZS bleibt dran, unterstützt diese Initiativen, treibt die Entwicklung der notwendigen Rahmenbedingungen voran und erteilt gerne weitere Auskünfte.

Herzlichen Dank für das Gespräch.