06. Dez 2022

Baukultur zahlt sich aus – auch für die Bauwirtschaft

Die Baukulturexpertin Dr. Claudia Schwalfenberg beschreibt Wesen und Wert der Baukultur, wie es zur Führungsrolle der Schweiz in Europa kam und wie die Bauwirtschaft davon profitiert.

Claudia Schwalfenberg

Schöne Häuser und geschützte Ortsbilder? Baukultur ist weit mehr als das. Sie ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Gestaltung des Lebensraums. Dieses ganzheitliche Verständnis von Baukultur beginnt sich langsam durchzusetzen, national wie international. Diverse Mitglieder von Bauenschweiz haben dazu massgeblich beigetragen.

Auf Initiative des SIA formierte sich 2010 der Runde Tisch Baukultur Schweiz. Bei der ersten Zusammenkunft wirkten unter anderem mehrere Planerverbände (neben dem SIA auch die Bauenschweiz-Mitglieder BSA, BSLA, FSU und usic), der Baumeisterverband, der Heimatschutz, mehrere Bundesämter sowie der Städteverband mit. Das vom Runden Tisch 2011 veröffentlichte Manifest zur Baukultur legte den Grundstein für das neue Politikfeld Baukultur in der Schweiz.

Gemeinsam für Baukultur

Ein ganzheitliches Verständnis von Baukultur und die partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Beteiligten standen von Anfang zuoberst auf der Prioritätenliste. Vom Bestand bis zur zeitgenössischen Gestaltung, vom kleinen Handwerksdetail über Gebäude und Freiräume bis zu grossmassstäblichen Infrastrukturen, vom Planungsprozess über Bau und Betrieb bis hin zur Wiederverwendung: ein nachhaltig gestalteter Lebensraum fordert alle planenden, beratenden und bauenden Disziplinen. Das Manifest hält deshalb ausdrücklich fest: «Öffentlichkeit, Auftraggebende, Planende und Bauwirtschaft schaffen gemeinsam Baukultur.» Umgekehrt werden «faire und transparente Ausschreibungen und Vergaben von Planungs- und Bauleistungen», «die Abkehr vom reinen Preiswettbewerb und der verstärkte Einbezug qualitativer Kriterien» sowie «ausreichende Bearbeitungszeiten» gefordert. Bauenschweiz griff das neue Politikfeld Baukultur bereits bei seiner Plenarversammlung 2012 auf.

Sechs Jahre später bereitete Bundespräsident Alain Berset der Baukultur dann eine grosse Bühne im Vorfeld des World Economic Forum WEF in Davos. Die von der Eidgenossenschaft eingeladenen europäischen Kulturminister verabschiedeten die Davos Declaration, die eine hohe Baukultur in Europa fordert. Seitdem nimmt die Schweiz eine Führungsrolle in Europa ein. Auf nationaler Ebene folgte 2020 die erste interdepartementale Strategie zur Förderung der Baukultur. Ein Jahr später konkretisierte das Davos Qualitätssystem für eine hohe Baukultur, wie sich baukulturelle Qualität objektivieren lässt. (ggf. Illustration 8 Kriterien) Das Davos System definiert acht miteinander verbundene Kriterien, deren Berücksichtigung zu ausgewogenen Lösungen führt: Gouvernanz, Funktionalität, Umwelt, Wirtschaft, Vielfalt, Kontext, Genius loci und Schönheit. Wirtschaftliche, technische, und ökologische Kriterien gehen Hand in Hand mit sozialen, kulturellen und emotionalen Aspekten. Zum wirtschaftlichen Mehrwert trägt planerische und baukonstruktive Qualität ebenso bei wie eine gute Einbettung in den umgebenden Lebensraum oder die Akzeptanz unter den Nutzenden.

Gemeinsames Gut, geteilte Verantwortung

Unter der Überschrift «Erfolgsfaktor Baukultur. Wie gute Projekte Rendite generieren» vertieft eine aktuelle, vom SIA unterstützte Veranstaltungsserie von Wüest Partner, warum Baukultur auch aus Investorenperspektive einen Mehrwert darstellt. Begleitend ist bereits ein Sonderheft von espazium erschienen, dem Verlag für Baukultur. Alle diese Überlegungen – wie auch die direkte Stimme der Bauwirtschaft – fliessen ein in die Vorbereitung einer zweiten Ministerkonferenz im Vorfeld des nächsten WEF in Davos. Unter dem Titel «Common good, shared responsibility» soll im Januar 2023 eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen Sektor, der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor angeregt werden, insbesondere in den Bereichen Finanzen, Immobilien und Bauwirtschaft. Die Mitglieder des Runden Tischs Baukultur Schweiz, darunter bauenschweiz, konnten im Rahmen eines Stakeholderanlasses diesen Juni und einer Konsultation diesen Oktober Inputs geben. Um unseren Lebensraum nachhaltig zu gestalten, sind wir alle gefordert. Umgekehrt profitiert die Bauwirtschaft von der Wertschätzung ihrer Branche.

Grafik Baukultur

Über die Autorin

Dr. Claudia Schwalfenberg leitet den Fachbereich Politik des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA. Sie ist spezialisiert auf Baukultur, initiierte den Runden Tisch Baukultur Schweiz und das neue Politikfeld Baukultur in der Schweiz. Claudia Schwalfenberg wirkt als Mitglied einer internationalen Expertengruppe bei der geplanten Ministerkonferenz «Common good, shared responsibility» mit.