06. Nov 2020

«Ein Quantensprung für die Bauwirtschaft»

Interview mit Marc Steiner, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Experte für Vergaberecht (äussert seine persönliche Meinung)

Bauenschweiz: Warum ist die Harmonisierung des Beschaffungsrechts ein Quantensprung für die Anbieter aus der Bauwirtschaft?

    Es gibt eigentlich zwei Quantensprünge, und genau weil die kombiniert worden sind, war und bleibt das Projekt so anspruchsvoll.

    Der erste Quantensprung ist die Harmonisierung des Beschaffungsrechts. Nach geltendem Recht kann es einem Bauunternehmer in der Nordwestschweiz passieren, dass er es im Alltag mit sechs oder mehr verschiedenen Gesetzen zum gleichen Thema zu tun hat, je nachdem in welchem Kanton er anbietet. Das ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ein Unsinn. Darum hat man sich darauf geeinigt, die rechtlichen Rahmenbedingungen möglichst weitgehend zu vereinheitlichen.

    Der zweite Quantensprung, an dem die Baulobby und namentlich auch der Dachverband bauenschweiz wesentlichen Anteil haben, ist die inhaltliche Neuausrichtung des öffentlichen Beschaffungswesen. Geiz ist nicht (mehr) geil. Das vorteilhafteste Angebot erhält den Zuschlag. Qualitätswettbewerb, Innovation und Nachhaltigkeit werden zusammen gedacht.


    Auf welche(s) Missverständnis(se) werden Sie regelmässig angesprochen?

      An einem Meeting des SIA hat sich ein Teilnehmer begeistert gezeigt, dass das Gesetz jetzt die Auftraggeberseite zu Qualität und Nachhaltigkeit zwingt. Das ist aber nicht so. Fakt ist, dass die Auftraggeberseite wie bisher Ermessensspielräume hat, die der richterlichen Kontrolle entzogen sind. Gerade mit den Grossvergabestellen muss darum seitens der Wirtschaftsverbände der Dialog über die Vergabekultur als ständiges Thema etabliert werden.


      E
      s wird komplexer für die Beschaffungsstellen und die Anbieter – gibt es ein Erfolgsrezept?

        Richtig, es wird komplexer. Die Politikerinnen und Politiker, die Ihnen etwas anderes erzählen, lügen Ihnen in die Tasche. Die Komplexität ist auch unausweichlich, weil das neue Recht mehr Zielkonflikte offen adressiert. Es gibt einen Schritt Richtung Vollkostenrechnung. Die Methodik der Ausschreibungen und Offerten wird Richtung ganzheitlichere Problemlösungen gehen. Wenn Sie das auf Auftraggeberseite oder als Anbieterin strategisch einbetten und betriebskulturell verankern, sind Sie im Vorteil.


        Für eine Harmonisierung über alle drei föderalen Ebenen braucht es den Beitritt möglichst aller Kantone zur Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen IVöB. Ist dies realistisch und wo sind Stolpersteine versteckt?

          Stolperstein ist gut! Man muss leider von einer ausgewachsenen Tretmine sprechen. Es gibt Kreise, die die Preisniveaudiskussion, die uns schon auf Bundesebene das Leben schwer gemacht hat, bei jedem kantonalen Beitritt zur IVöB noch einmal führen wollen. Aber vielleicht erkläre ich die Preisniveaumethode zuerst, bevor ich sie kritisiere: Die Idee ist, dass man einem Anbieter aus dem Kanton Jura, der die günstigeren Stundenlöhne für seine Arbeiter hat, einen (fiktiven) Strafzuschlag auf die Angebotssumme macht, damit der Zürcher Konkurrent, der das identische Produkt etwas teurer offeriert, trotzdem gewinnt und den Zuschlag erhält. Da die Politikerinnen und Politiker wissen, dass das nicht vermittelbar ist, wollen sie diese Methode «nur» gegenüber ausländischen Angeboten anwenden. Fakt ist: Mit dem Kampf für Qualitätswettbewerb und gegen Dumping werden die Chancen unserer qualitätsorientierten Anbietenden viel eleganter erhöht. Den Sieg der Baulobby beim BöB verteidigen heisst auch den Störmanövern beim IVöB-Beitritt aktiv entgegentreten.

          Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihre Ausführungen.