24. Mär 2023

Mit Methode auf den Spuren der Nachhaltigkeit

Die erste Weiterentwicklung des 2022 erstmals publizierten Vergabemonitors ebnet den Weg, um zukünftig Entwicklungen bei Bund und Kantonen (oder Gemeinden) vergleichbar zu machen.

Die öffentliche Hand beschafft jährlich Leistungen für mehr als 40 Milliarden Franken. Davon entfallen rund 80% auf Kantone und Gemeinden. So ganz genau weiss das niemand, denn es existiert keine einheitliche Statistik. Unbestritten ist aber, dass das öffentliche Beschaffungswesen aufgrund seines Volumens erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Angebot und Nachfrage haben kann.

Die Totalrevision des Beschaffungswesens soll einen Kulturwandel, weg vom alleinigen Preisfokus, hin zu insbesondere mehr Nachhaltigkeit bereiten. Die Entwicklung entspricht einem internationalen Trend. Von den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, über das revidierte WTO-Abkommen oder die Europäische Initiative zu Green Public Procurement: Die internationale Politik hat die Richtung vorgespurt.

Ob diese Richtung zielgerichtet, zu schnell oder zu langsam verläuft, bleibt besonders in föderalen Systemen Gegenstand von Diskussionen. So haben die Kantone in ihrer Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen IVöB, trotz des Anspruchs an eine grösstmögliche Harmonisierung mit der Bundesgesetzgebung BöB, Elemente und Formulierungen nicht übernommen. Weiter sind einige Kantone bei den Zuschlagskriterien von der IVöB abgewichen.

Kulturwandel im Beschaffungswesen abseits der Öffentlichkeit?

Und dennoch ist die Revision insgesamt ein Erfolg. Die Umsetzung kommt vergleichsweise rasch voran. Dies mag daran liegen, dass die eingeschlagene Kernrichtung - ein wirtschaftlicher, volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltiger Einsatz der öffentlichen Mittel – über Parteigrenzen hinweg Mehrheiten fand. Andererseits taucht das Politikfeld im Sorgenbarometer der Bevölkerung nicht auf. Das Feld bleibt weitgehend den betroffenen Akteurinnen und Experten überlassen.

Der weiterhin föderale Charakter des Politikfelds sowie die fehlende einheitliche und vollständige Statistik erschweren eine sinnvolle Beantwortung der Frage, ob der Kulturwandel im Beschaffungswesen in der Praxis tatsächlich ankommt. Meinen es Politik und Verwaltungen mit dem Kulturwandel ernst, muss diese Frage hinreichend und wiederkehrend beantwortet werden.

Vergabemonitor von Bauenschweiz macht Kulturwandel sichtbar

Das Vergabemonitoring von Bauenschweiz wertet Publikationen der Ausschreibungsplattform simap.ch quantitativ nach Kriterien aus, die für den Kulturwandel in der Bauwirtschaft stehen. Ziel ist eine Vergleichbarkeit zwischen Bund und Kantonen in Bezug auf die für Bauenschweiz relevanten Branchen (Baugewerbe, Ingenieur- und Architekturleistungen).
Es handelt sich um einen iterativen Annäherungsprozess. Das Datenmodell wird laufend verbessert. Im ersten Quartalsbericht vom November 2022 wurden allgemeine Trends für zehn Indikatoren abgebildet, getrennt nach Branchen, Bund, allen Kantonen und deren Gemeinden. Als Referenzpunkt diente nur der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bundesrevision am 1. Januar 2021.

Weiterentwicklung soll auch Kantone miteinbeziehen

Im soeben publizierten Whitepaper wird ein Datenmodell präsentiert, das die jeweilige politische Ebene mit den unterschiedlichen Zeitpunkten des Inkrafttretens als Ausgangspunkt nimmt. Die Ergebnisse werden nach Branchen aufgeschlüsselt. Damit sind direkte Vergleiche möglich zwischen Bund und einzelnen Kantonen, theoretisch auch einzelnen Gemeinden.

Der Preis für die Präzision ist eine Abnahme der Anzahl verfügbaren Beobachtungen pro Variable. Eine Prüfstatistik soll deshalb Aussagen zur Verlässlichkeit der Ergebnisse erlauben. Dennoch muss damit gerechnet werden, dass nicht mehr alle zehn Indikatoren in die Untersuchung einfliessen können. Der erste Vergabemonitor schliesst somit Lücken, die in Zukunft durch Modellverbesserungen entstehen können.

Qualitätskriterien gewinnen auf Bundesebene an Bedeutung

Das nachstehende Diagramm zeigt den durchschnittlichen Anteil qualitativer Zuschlagskriterien bei Bundesvergaben vor und nach Inkrafttreten der Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen BöB am 1. Januar 2021. Die Kategorie aller Bundesvergaben ist identisch mit dem Datenmodell des ersten Vergabemonitors. Neu hinzu kommt die Aufschlüsselung nach Baubranchen sowie die Teststatistik. Geprüft wurde, ob die Veränderung seit Inkrafttreten als gesichert gelten kann und wie stark deren Richtung (positiv oder negativ) ausfällt.

Vor der Revision betrug der Anteil qualitativer Zuschlagskriterien für alle Bundesvergaben im Mittel 55%. Seither hat der Anteil um 11,3% auf 61,2% zugenommen. Das Ergebnis erzielt 10 von 12 Punkten bei der Modellqualität. Der Unterschied ist zu 99 Prozent gesichert, aber von geringer Stärke.

Veränderung des Anteils Qualitätskriterien bei Bundesvergaben seit dem 1.1.2021 (Stand: 30.9.22)

Während qualitative Zuschlagskriterien bei Architektur- und Ingenieurleistungen überdurchschnittlich hohe Bedeutung haben, überwiegen Preiskriterien im Baugewerbe auch nach der Revision. Die Zunahme fällt aber bei letzterem mit 18,9% am deutlichsten aus, bei hoher Sicherheit aber geringer Stärke. Statistisch betrachtet schneiden die Ingenieurleistungen am besten ab, ihr Prozentunterschied ist zu 99% verlässlich und die positive Richtung ist am stärksten ausgeprägt.

Kurzfristig markante Zunahme der Nachhaltigkeitskriterien

In diesem Beitrag wird das erweiterte Datenmodell zusätzlich auf die Entwicklung des Anteils Bundesaufträge mit Nachhaltigkeitskriterien angewendet. Neu erfolgt die Berechnung der Indikatoren bereits auf Tagesebene, anstatt wie bisher erst auf Quartalsebene. Für sämtliche Aufträge des Bundes ergeben sich dadurch leicht bessere Ausgangswerte von 3,0% (zuvor 1,9%) vor bzw. 7,4% (5,5%) nach Inkrafttreten. Der Zeitreihentrend ist identisch. Sämtliche Werte sind unterschätzt, da die Erhebung sich nicht auf die Ausschreibedokumente erstreckt.

Mit dem neuen Modell wird sichtbar, dass die Bedeutung der Nachhaltigkeit ab Inkrafttreten des BöB für Teile der Bauwirtschaft markant zugenommen hat. Waren vor der Revision in Architekturaufträgen noch keine dieser Kriterien enthalten, ist der Anteil der Aufträge mit Nachhaltigkeitskriterien seither sprunghaft auf 28,6% angestiegen. Beim Baugewerbe von 1,4% auf 10,9%. Hingegen unterschied sich die Entwicklung bei Ingenieurleistungen kaum von derjenigen bei allen Aufträgen. Zwischen Sommer und Herbst 2022 folgte ein starker Rückgang. Die Ergebnisse sind zu mindestens 95% verlässlich.

Entwicklung des Anteils Bundesvergaben mit Nachhaltigkeitskriterien (gleitende Jahresmittel)

Das revidierte Datenmodell wird ab der nächsten Ausgabe des Vergabemonitors angewendet. Ab dann werden auch die Kantone, in der Reihenfolge des Inkrafttretens der Revision, sukzessive hinzukommen.