27. Jan 2021

«Kaffee mit ...»

Digitalisierungsexperte Dejan Lukic und App-Entwickler Rafael Mottl beantworten unsere Fragen zur Chance der Digitalisierung für KMU in der Baubranche und stellen einen KMU-tauglichen Baustein im Digitalisierungsdschungel vor.

Rafael Mottl und Dejan Lukic

Rafael Mottl, CEO Aestico, App-Entwickler und Dejan Lukic, Stv. Geschäfts­führer und Leiter Technik Infra Suisse*, Vorstandsmitglied Bauen Schweiz Digital 

Bauenschweiz: Welches sind 2021 die Meilensteine für die Digitalisierung in der Baubranche?

Dejan Lukic: Gemäss dem Aktionsplan Digitale Schweiz soll ab diesem Jahr für die Beschaffungen des Bundes und der bundesnahen Betriebe BIM verpflichtend angewendet werden. Der Bund hat auch in Aussicht gestellt, hierfür 2 – 10 Millionen Franken zur Verfügung zu stellen. Es ist zu hoffen, dass beide Vorgaben umgesetzt werden.

Als Meilenstein kann zudem die SN EN ISO 19650ff (Organisation von Daten zu Bauwerken) genannt werden. Die Normenreihe beschreibt bislang viele offene Fragen zu BIM, den notwendigen Abläufen und Verantwortungen.

Welchen Herausforderungen in der Digitalisierung stehen insbesondere kleinere Unternehmen gegenüber?

Rafael Mottl: Kleine Unternehmen befinden sich im täglichen Kampf sowohl die Büroarbeit als auch Bauprojekte vor Ort im Griff zu haben. Diese Belastung stellt eine Hürde dar, sich Neues überhaupt anzuschauen, auch wenn digitale Lösungen viel Potential haben, die täglichen Abläufe zu erleichtern.

Dejan Lukic: Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten. Die aktuelle Praxis zeigt, dass es einige gut funktionierende Lösungen für unterschiedliche Herausforderungen gibt. Auch wenn die Beschaffungskosten von Software­lösungen oft tief erscheinen, sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass eine neue Software in das bestehende Umfeld passt. Noch besser wäre es, wenn eine neue Lösung Bestehendes ablöst, Schritte abkürzt, automatisiert und die Qualität sichert. Dies gilt für alle Firmen, aber besonders für KMU, welche sehr stark im Tagesgeschäft eingebunden sind und wenig Zeit für Evaluationen oder Experimente haben.

Rafael Mottl, Sie haben eine App entwickelt, die die erwähnten Punkte von Herrn Lukic zu lösen scheint. Wie ermöglichen Sie das?

Rafael Mottl: Bei Handwerksbetrieben gibt es viele Medienbrüche: Erste Aufnahmen von Daten und Massen auf Papier, Übertragung in eine Ablage, Kalkulation, Offerterstellung etc. Unsere Lösung ermöglicht, die notwendigen Angaben für eine Offerte vor Ort komplett aufzunehmen und im Büro bearbeitbar zur Verfügung zu stellen. Das spart viel Zeit bei der Offertstellung.

Wenn mehr vor Ort gemacht wird, dauert der Kundentermin damit nicht länger?

Rafael Mottl: Nein, man ist sogar noch schneller, da die Ausmass-Erfassung für den vor-Ort-Termin optimiert ist. Nach dem Termin haben Sie die Offerte und den Projektbericht mit Fotos sauber abgelegt und jederzeit griffbereit.

Dejan Lukic, wo sehen Sie mögliche Lösungen für kleine Unternehmen?

Dejan Lukic: Lösungen für kleine Unternehmen sollten sich unbedingt an zwei Anforderungen orientieren. Erstens muss die Frage beantwortet werden, welche Schritte oder Prozesse die vorgesehene Lösung bei den bestehenden internen Prozesses ersetzten oder ergänzen soll. Die zweite Frage orientiert sich stark am Kunden und dessen Bedürfnissen, beispielsweise an Offert­stellung, Abrechnung, Visualisierung, Kommunikation, etc. Idealerweise werden die betriebsinternen Bedürfnisse und die Kundenanforderungen gleichzeitig abgedeckt.

Rafael Mottl, kleine Betriebe stehen oft unter grossem Zeitdruck: wie gehen Sie damit um?

Rafael Mottl: Unser Ziel ist, dass die App so einfach zu bedienen ist, dass man sie nach der ersten Verwendung versteht.

Was muss in den nächsten 2-5 Jahren passieren, um in der Digitalisierung noch einen Schritt weiter zu kommen?

Dejan Lukic: Zentral ist ein gemeinsames Verständnis. Die Bauwirtschaft ist hochspezialisiert und fragmentiert. Die Arbeitsteilung ist gerade in der Schweiz mit den vielen KMU sehr hoch. Um von der Digitalisierung zu profitieren, benötigen wir in der Bauwirtschaft Personal das in benötigter Qualität und Quantität zur Verfügung steht. Ich sehe einen grossen Bedarf in der Befähigung. Dies gilt gleichermassen für Bauunternehmer, Handwerker, Planer, Architekten, Bauherren oder Bewilligungsinstanzen.

Rafael Mottl: Es braucht brauchbare Werkzeuge für eine effiziente Zusammen­arbeit und klare Schnittstellen zwischen Software Tools, damit das tägliche Arbeiten von allen an einem Bau beteiligten Akteuren einfacher wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

*Infra Suisse ist Mitglied bei Bauenschweiz und engagiert sich aus den von Lukic im Interview genannten Gründen bei Bauen Digital Schweiz, dem Ableger von Building Smart International. Hier sind alle relevanten Stakeholder vertreten. Es werden Lösungen erarbeitet, Bedürfnisse formuliert und Know-How geteilt. Insbesondere das Use Case Management hat sehr grosse Bedeutung.