11. Jan 2024

Der Kulturwandel wittert Morgenluft

Während einige Kantone einen Nachholeffekt bei der Qualitätsgewichtung zeigen, wird Nachhaltigkeit gerade bei Planungsaufträgen immer wichtiger. Der Dialog gewinnt an Beliebtheit und Wettbewerbe kehren wieder zurück. Nimmt der Kulturwandel an Fahrt auf?

Dritter Vergabemonitor Bauenschweiz

Seit Ende 2022 leistet Bauenschweiz einen datengetriebenen Beitrag zur Umsetzung des revidierten Beschaffungsrechts bei Bund und Kantonen. Die aktuelle dritte Ausgabe des Vergabemonitors der Schweizer Bauwirtschaft untersucht neben dem Anteil qualitativer Zuschlagskriterien und Nachhaltigkeitskriterien acht weitere Indikatoren. So kann der im Vergabewesen geforderte Kulturwandel faktenbasiert nachvollzogen werden.


Greift der Kulturwandel im öffentlichen Beschaffungswesen?

Der Vergabemonitor will sowohl eine kurzfristige als auch eine langfristige Frage beantworten. Kurzfristig stellt sich die Frage, wie haben sich die Indikatoren seit dem letzten Bericht bzw. letzten Jahr verändert? Hierfür wird neu das gleitende Jahresmittel benutzt, welches bereits in den Zeitreihendiagrammen dargestellt wurde. 

Andererseits die langfristige Frage, gibt es einen feststellbaren Unterschied seit Inkrafttreten der Revision? Dafür nutzt der Monitor weiterhin den Relevanztest der letzten Ausgabe, welcher die Unterschiede der Vorher-/Nachher-Mittelwerte auf deren Signifikanz und Stärke untersucht.


Vergabemonitor Herbst 2023

Die dritte Ausgabe des Vergabemonitors umfasst 90'361 Publikationen der Ausschreibeplattform simap.ch vom Januar 2018 bis Ende September 2023. Von den zwischen dem ersten und dritten Quartal 2023 erfassten 9'932 Aufträgen waren 32,8% Bauausschreibungen, 5,8% Ingenieur- und 2,1% Architekturaufträge.

Neu wurden die Entwicklungen auf Bundesebene und in allen 26 Kantonen untersucht. Per Ende September 2023 war das revidierte Beschaffungswesen beim Bund und in zwölf Kantonen geltendes Recht. Zwischen Januar und September 2023 haben sechs Kantone (Freiburg, Luzern, Schaffhausen, Waadt, St. Gallen, Uri) die Revision in Kraft gesetzt.

Totalrevision öffentliches Beschaffungsrecht. In Kraft per 30. September 2023


Aufholjagd bei der Gewichtung von Qualität?

Der Anteil qualitativer Zuschlagskriterien betrug Ende September schweizweit 51,6% im gleitenden Jahresmittel und lag damit um 0,6% höher als im ersten Quartal. Neben dem Bund konnten für die Kantone Schwyz, Bern und Waadt signifikante Unterschiede seit Inkrafttreten festgestellt werden, insbesondere im Baugewerbe (SZ: +49,2%, BE: +42,0%, VD: +18,4%). In Bern und Schwyz scheint es sich um einen Nachholeffekt zu handeln, da beide Kantone vor der Revision die Qualität am Bau mit rund 26% sehr niedrig gewichtet hatten.

Anteil qualitativer Zuschlagskriterien in öffentlichen Aufträgen (Q3 2023)

Qualitative Zuschlagskriterien


Nachhaltigkeit insgesamt auf dem Vormarsch

Deutlich stärker zugenommen hat der Anteil Nachhaltigkeitskriterien. Dieser ist seit dem ersten Quartal um 17,8% gestiegen und beträgt nun 7%. Die Zunahme ist geringer als im Vorjahresquartal (+30,6%). Am stärksten zugenommen seit dem Frühjahr haben die Kriterien bei Planungsleistungen: um 35,3% bei Ingenieur- sowie um 58,5% bei Architekturaufträgen. Signifikante Unterschiede seit dem Inkrafttreten konnten bei allen Ausschreibungen des Bundes (+149,6%) und des Kantons Bern (+226,8%) festgestellt werden.

Seit dem letzten Bericht haben die Zuschlagskriterien Innovation (+63,5%) und die Plausibilität des Angebotes (+25,1%) ebenfalls zugenommen. Deren Anteile sind im gleitenden Mittel mit 0,3% bzw. 0,7% vergleichsweise gering. Kein Thema scheint das Kriterium «Verlässlichkeit des Preises» zu sein. Es wurde innert zwei Quartalen nur dreimal beobachtet.

Anteil Nachhaltigkeitskriterien in öffentlichen Aufträgen (Q3 2023)

Nachhaltigkeitskriterien


Der Dialog gewinnt an Beliebtheit, sind Projekt- und Ideenwettbewerbe zurück?

Im letzten Halbjahr wurden 154 Dialogverfahren ausgeschrieben, davon rund zwei Drittel im Baugewerbe. Im gleitenden Jahresmittel betrug der Anteil an allen Ausschreibungen 1,8%. Das ist eine deutliche Zunahme von 22,6% zum ersten Quartal bzw. 35,4% zum Vorjahresquartal. Das Verfahren gewinnt in sämtlichen Baubranchen überdurchschnittlich an Beliebtheit.

Varianten liessen 18,4% der Aufträge zu. Dies waren 8,4% weniger als noch vor einem halben Jahr und 11,4% weniger als im Vorjahr. Bei den Wettbewerben sind Gesamtleistungswettbewerbe weiterhin auf dem Rückzug. Dagegen scheinen Projekt- und Ideenwettbewerbe bei Planungsaufträgen an Beliebtheit zu gewinnen. In der Architektur waren schweizweit 15,9% der Aufträge Projekt- und 7,7% Ideenwettbewerbe.

Dialogverfahren

Projektwettbewerbe

Gesamtleistungswettbewerbe

Varianten

Varianten

Gesamtleistungswettbewerbe

Ideenwettbewerbe

Ideenwettbewerbe


Kulturwandel hat verhalten an Fahrt aufgenommen

Seit dem Frühjahr scheint der Kulturwandel im Beschaffungswesen wieder an Fahrt aufgenommen zu haben. Dies könnte sowohl auf gewisse Nachholeffekte, auf die Vielzahl Kantone in denen neu das revidierte Vergaberecht gilt, aber auch auf saisonale Effekte zurückzuführen sein.

Gerade bei den neuen Kriterien und Verfahren wird es interessant sein zu sehen, ob sich deren Anwendung auf Pilotprojekte beschränkt oder sie sich in der Zukunft durchsetzen können.

Nicht zuletzt bleibt die Frage offen, wie sich die weiterhin unsicheren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, ausgelöst durch geopolitische Umwälzungen und damit verbundene Neuausrichtungen der Lieferketten, auf den Kulturwandel auswirken werden.