24. Mär 2021

Investieren statt sparen: wie wir die Krise zur Chance machen

Ein Gastbeitrag von Laurindo Lietha, Fachspezialist Ordnungen / Beschaffung, SIA

©SIA

In schwierigen Zeiten die Handbremse zu ziehen und zu warten, bis diese vorüber sind, ist selten eine gute Idee. Innovationen und Visionen gehören gefördert, so wird aus der Krise eine Chance. Eine kleine Abhandlung über die SBB, die Vereinten Nationen und unsere Zukunft.

Ende Januar zuckte die Planungs- und Bauwelt zusammen. Die SBB informierte, dass Immobilienprojekte mit einem Gesamtvolumen von rund 700 Millionen Franken sistiert werden müssen. Der Schuldendeckungsgrad sei deutlich unterschritten, nicht zuletzt aufgrund der massiven Einbussen im Personenverkehr, die durch den pandemiebedingten Rückgang der Mobilität zu erklären seien.

Nicht nur die Pensionskasse der SBB, die zu einem gewichtigen Teil mit Geldern aus deren Immobiliensparte gespiesen wird, war besorgt. Auch die Auftragsnehmenden der Planungs- und Bautätigkeiten aus diesen Projekten hätten diesen Entscheid zu fürchten. Zudem können solche Entscheide auch private Investoren beeinflussen, ebenfalls so zu handeln. Die Schweizer Bauwirtschaft, die sich gerade als äusserst krisenresistente und agile Branche beweist, würde in Bedrängnis kommen, Arbeitsplätze würden verloren gehen und KMU müssten die Tore schliessen, wurde befürchtet.

Bauenschweiz und der SIA reagierten und verfassten einen offenen Brief an den Bundesrat. «Wir rufen insbesondere die öffentliche Hand als Bauherrin auf, keine Sparprogramme zu schnüren, sondern Planungen und Realisierung weiter voranzutreiben. Staatliche Auftraggeber müssen als positive Beispiele vorangehen» hiess es darin. Aus den betroffenen Regionen formierte sich Widerstand und die ständerätlichen Finanz- und Verkehrskommissionen intervenierten mit Motionen.

Die öffentliche Hand reagierte postwendend und richtig: Der Schuldendeckungsgrad wird vor dem Hintergrund der ausserordentlichen Situation temporär ausgesetzt, die Sistierung aufgehoben. Eine Branche atmet auf.

Die Krise als Chance

Im Chinesischen ist der Begriff «Krise» ein Kompositum: Zusammengesetzt aus den Schriftzeichen «Gefahr» und «Chance» zeigt das Wort beiderlei Interpretationsmöglichkeiten. Die Schweiz hat es mit oben beschriebenem Entscheid vorerst geschafft, nicht die Option «Gefahr» zu wählen.

Europa ist der Schweiz einen Schritt voraus: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, ist 2019 mit der Idee des «European Green Deal» angetreten. Ein massives Investitionspaket soll die Wirtschaft befeuern und den Lebensraum nachhaltig transformieren, soziale Ungleichheiten minimieren und die Energieversorgung auf erneuerbarer Basis gewährleisten.

Mit dem «New European Bauhaus» liegt nun ein konkretes Projekt mit Vorbildcharakter vor. «Ich möchte, dass NextGenerationEU eine europäische Renovierungswelle auslöst und unsere Union zu einem Vorreiter in der Kreislaufwirtschaft macht. Das ist jedoch nicht nur ein ökologisches oder wirtschaftliches Projekt: Es muss auch ein neues Kulturprojekt für Europa werden», formuliert Frau von der Leyen ihre Vision. Dialogbasierte, nachhaltige Interventionen sollen dabei nicht nur die Lebenswirklichkeiten verbessern, sondern auch zu einem gesteigerten kulturellen Verständnis beitragen.

Wirtschaftstheoretisch fussen diese Projekte auf der antizyklischen Finanzpolitik, die ihren Ursprung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit den Überlegungen des bedeutenden britischen Ökonomen John Maynard Keynes hat. Auch beim «New Deal» des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt als Antwort auf die durch den ersten Weltkrieg ausgelöste Weltwirtschaftskrise, wurden die finanziellen Mittel an soziale Visionen geknüpft. Neben der Einführung von Sozialversicherungen, einer Arbeitszeitbeschränkung und einem Mindestlohn sowie dem Verbot von Kinderarbeit wurden auch gewaltige Infrastrukturprojekte realisiert. Staudammprojekte hatten nicht nur die Energiegewinnung, sondern auch den Schutz vor Überschwemmungen und die Eingrenzung der grassierenden Malaria zum Ziel und Private erhielten leichter und zinsgünstig Darlehen für den Kauf von Wohnraum.

Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, sind nicht die gleichen wie vor gut hundert Jahren – die Rahmenbedingungen ähneln sich aber durchaus. Die Vereinten Nationen halten in ihren SustainableDevelopment Goals die wichtigsten Aktionsfelder fest. Investitionen in einen hochwertigen und nachhaltig gestalteten Lebensraum helfen nicht nur, das elfte Ziel «Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten» zu erreichen. Es können auch Arbeitsplätze geschaffen und dadurch die Armut gemindert, soziale Ungleichheit minimiert und Wirtschaftswachstum gefördert werden. Medizinische, Bildungs- und Versorgungsinfrastrukturen können optimiert, Innovationen gefördert und der Klimawandel durch Erhalt von Landökosystemen und der Aufwertung von Städten eingegrenzt werden.

Vorbildfunktion wahrnehmen

Wer dabei denkt, der Beitrag der kleinen Schweiz sei nur Tropfen auf dem heissen Stein, der irrt. Wie die doch-nicht-sistierten Projekte der SBB einen Vorbildcharakter für andere Akteure haben, hat auch die Schweiz als kleines Land von grossem Wohlstand, und mit langer Tradition in Menschenrechten und politischer Stabilität einen gewaltigen Einfluss auf das Handeln anderer Nationen. Die Schweiz kann es sich leisten, mit gutem Vorbild voranzugehen und durch bewusstes Investieren in unseren Lebensraum aus der Krise eine Chance zu machen.

Die gesetzlichen Grundlagen dafür sind bereits geschaffen: Das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) ist seit dem 1. Januar 2021 in Kraft und in vielen Kantonen sind die Ratifizierungsprozesse zur interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (iVöB) angestossen. Die neuen Spielregeln erlauben den öffentlichen Beschaffungsstellen nicht weiter Preiswettbewerbe, die zu Dumpingpreisen und minderwertigen Erzeugnissen führen, abhalten zu müssen. Neu dürfen und müssen die öffentlichen Mittel nachhaltig eingesetzt werden. Der Qualitätswettbewerb ist lanciert. Innovationen und einer neuen Beschaffungskultur sind die Tore geöffnet. Nutzen wir die Chance.

Am 16. September lädt der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein nach Zürich ins Kongresshaus. Anmeldungen sind ab Anfang April möglich, die Teilnahme wird auch remote möglich sein. Der 1. SIA-Ordnungstag beschäftigt sich mit Fragen zum Beschaffungswesen. Es werden Wege gesucht und besprochen, um der Vision des SIA einen Schritt näher zu kommen: Einem zukunftsfähigen und nachhaltig gestalteten Lebensraum von hoher Qualität.